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The Grand Circle – Eine elfwöchige Rundreise durch die USA (Teil 2)
© A. Ziemer
Tag 19 – Freitag, 27. Juli 2018
An diesem Tag sollte uns unsere Fahrt durch Orte und Gegenden führen, mit mehr oder weniger klangvollen, vielleicht sogar berüchtigten Namen: Alamogordo und White Sands, das waren die markantesten Punkte dieser Etappe.
Aus der trockenen und baumlosen Ebene des 1000 Meter hoch gelegenen Arthesia führte uns unser Weg hinauf, bis in eine Höhe von über 2000 Metern, durch die waldreichen Hügel der Mescalero-Appache Indian Reservation. Anschließend ging es wieder hinunter, in die Wüste des Tularosa-Beckens, nach Alamogordo in einer Höhe von 1300 Metern.
Diese Stadt gelangte in der Vergangenheit zu zweifelhafter Berühmtheit. Los Alamos, der Ort, in dem unter Leitung von J. Robert Oppenheimer, unter dem Decknamen Manhattan Project, die Atombombe entwickelt wurde, liegt zwar mehr als 400 Kilometer nördlich von Alamogordo, trotzdem ist Alamogordo eng mit der Erprobung der ersten amerikanischen Kernwaffe verbunden. Nicht nur, dass von Alamogordo aus die Logistik für das Projekt in der benachbarten Militärbasis organisiert wurde, sondern am 16. Juli 1945 wurde rund 100 Kilometer von dieser Stadt entfernt auch der erste Nuklearsprengkörper gezündet. Dieser Trinity genannte Versuch fand auf dem gleichnamigen Testgelände statt, der heutigen White Sands Missile Range.
Am Tag der Atombomben-Explosion lebten in Alamogordo zirka 4000 Menschen, die nur haarscharf einer tödlichen Fallout-Wolke entgingen.
Heute hat Alamogordo wegen des nahe gelegenen Luftwaffenstützpunktes und Raketentestgeländes über 35.000 Einwohner. Der Teil von Alamogordo, den wir auf der Fahrt durch diese Stadt zu Gesicht bekamen, ist ein schamlos in die eindrucksvolle Wüstenlandschaft gerotzter Brei aus heruntergekommenen Behausungen, wild und chaotisch zusammengewürfelten Häusern des amerikanischen Mittelstandes, Schrottplätzen, Baustellen, schlechten Straßen, Ruinen, Adult-Videotheken, verranzten Supermärkten, haufenweise Tankstellen und halb verlassenen, teilweise noch bewohnten Häusern. Zumindest dieser Teil der Stadt scheint sich völlig selbst überlassen worden zu sein und immer weiter zu verwahrlosen. Es hat fast den Anschein, als wolle man nichts mehr von dem Ort wissen, in dessen Nähe ein derartig menschenverachtendes Vernichtungswerkzeug getestet wurde.
Wir fahren durch diese bedauernswerte Siedlung hindurch und folgen dem Highway 70, der von Alamogordo durch den südlichen Zipfel des Raketentestgeländes führt. Manchmal wird die Straße bei Raketentests aus Sicherheitsgründen gesperrt. Dann kann man die neuesten Errungenschaften der Vernichtungstechnologie über die eigenen Köpfe hinweg zischen sehen, während man im Stau steht und darauf wartet, dass die Straße wieder freigegeben wird.
© A. Ziemer
Nach ungefähr 30 Kilometern befindet sich auf der rechten Seite das White Sands National Monument, eine zivile Exklave, mitten in der Militärbasis. Wie bei allen State- und Nationalparks und bei National Monuments, gilt auch hier ein absolutes Waffenverbot. Irgendwie ein Kuriosum – inmitten einer Militärbasis befindet sich eine Insel der Waffenlosigkeit.
White Sands ist nicht nur Namensgeber für das Raketentestgelände, sondern vor allem ein eindrucksvolles Wunder der Natur. Die Erosion von Jahrmillionen hat aus dem Bergkristall und Kalkstein der westlich vom Park gelegenen San Andreas Mountains in Verbindung mit verschiedenen Sulfaten, eine schneeweiße Landschaft aus Gipssand geformt. Bei zirka 40°C fährt man zwischen „verschneiten“ Dünen hindurch und weil sich der Sand unter den Rädern ein wenig rutschig und seifig anfühlt, ist der Eindruck auf Schnee zu fahren beinahe perfekt. Diese Gipsdünen sind fast überall makellos weiß und reflektieren das Sonnenlicht so grell, dass man häufig keinerlei Strukturen erkennen kann. Nur dort, wo Menschen gelaufen sind und ihre Spuren hinterlassen haben, oder wo sich Wüstenbüsche zäh auf dem kargen Untergrund verwurzelt haben, findet das Auge einen Anhaltspunkt.
© A. Ziemer
© A. Ziemer
Festgehalten werden diese Gipssandhaufen durch ein salzhaltiges Grundwasserreservoir, das sehr dicht unter der Oberfläche liegt. Der Eindruck von Schnee wird allerdings sofort weggefegt, oder besser gesagt, weggebrannt, wenn die Autotür geöffnet und ausgestiegen wird. Es ist heiß, sehr heiß, und so trocken, dass die Haut nicht einmal nass wird, obwohl der Schweiß bei diesen Temperaturen eigentlich in Strömen fließen müsste. Wie wichtig es ist, sich in dieser Umgebung, bei längerem Aufenthalt im Freien oder auf Wanderungen mit Hut, langärmeligen Hemd und langen Hosen gegen die Sonne und vor Austrocknung zu schützen, reichlich zu trinken und immer genügend Wasser dabei zu haben, das haben wir vor drei Jahren anhand eines vermeidbaren, schlimmen Unglücks erfahren.
An dem Tag, als wir damals White Sands besuchten, ist ein französisches Ehepaar verdurstet und dessen neunjähriger Sohn hat nur mit knapper Not überlebt. Die Familie war auf dem Alkali Flat Trail unterwegs. Das ist ein gut markierter, aber unbefestigter und deshalb sehr anstrengender, acht Kilometer langer Rundwanderweg durch die Gipsdünen. Auf dem losen Gips zu gehen ist genau so, wie durch tiefen, rutschigen Sand zu wandern. Wer schon einmal längere Zeit im losen Sand am Strand gegangen ist, weiß, wie kräftezehrend das auf Dauer ist. Bei den nachfolgenden Ermittlungen stellte sich heraus, dass bei der Familie Behälter für insgesamt rund 1/3 Gallone Wasser (zirka 1,25 Liter) gefunden wurden, obwohl im Park überall darauf hingewiesen wird, dass bei Wanderungen in den Dünen jeder mindestens einen Liter Wasser pro Stunde trinken solle. Die Gehzeit für den Alkali Flat Trail wird mit drei Stunden veranschlagt. Die drei hätten zusammen also ungefähr neun Liter Wasser mitnehmen müssen, um die Wanderung unbeschadet überstehen zu können. Der Park ist 712 Quadratkilometer groß und damit nur unwesentlich kleiner als Hamburg, und bei nur zirka 100 Besuchern pro Tag, trifft man keine Menschenseele, sobald man sich auch nur ein paar Meter von den per Auto erreichbaren Orten entfernt. Es ist also durchaus möglich, dass die französische Familie die einzigen waren, die an diesem Tag auf dem Rundwanderweg unterwegs waren und ihnen deshalb niemand helfen konnte.
© A. Ziemer
Auch wir haben, als wir vor drei Jahren dort waren, von dem Schicksal der französischen Familie nichts mitbekommen. Deshalb haben wir uns, genau wie am heutigen Tag, völlig unbeschwert und gut gelaunt nach dem Besuch dieser ungewöhnlichen und auf der ganzen Welt wohl einzigartigen Gips- Dünenlandschaft auf den Weg zu unserem Tagesziel aufgemacht, dem Caballo Lake Statepark. Unterhalb der Staumauer des Caballo Lakes gelegen, haben wir zwischen großen, uralten Bäumen, die auf einer zwar etwas ramponierten, aber immerhin sattgrünen Rasenfläche standen, unser Nachtlager aufgeschlagen. Der Abend und die Nacht auf dem Campingplatz wurden durch die dort herrschende, fast absolute Stille perfekt, nur unterbrochen durch natürliche Laute, wie dem Rauschen des Windes in den Bäumen, zirpende Grillen, ab und zu Vogelgezwitscher, oder ein, von unbekannten kleinen Tieren verursachtes Rascheln im Unterholz. Keine Musik, keine Gespräche, keine Autos, keine ständig rauschenden Klimaanlagen. Dazu kam (mal wieder) ein unglaublicher Sternenhimmel. In unseren Breiten bekommt man das nie zu Gesicht, aber hier war es zu sehen: Sterne, die nur ganz knapp oberhalb des Horizonts standen, waren klar und deutlich zu erkennen, kleine, flackernde Lichter, scheinbar direkt auf die Gipfel der Berge gepflanzt und die Milchstraße war nicht, wie daheim, als milchiges Band, zu sehen, sondern als eine unüberschaubare Ansammlung einzelner Sterne erkennbar. Es wurde und war eine gute Nacht, im wahrsten Sinne des Wortes.
A. Ziemer, Juli-September 2018
Weiterlesen? Hier geht’s zum ersten und hier zum dritten Teil.
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